4 Staubige Nachhaltigkeit, ein Update

Bemerkenswert ist, dass der Großteil der Silos noch in Verwendung ist, und sie beinahe zufällig eine sehr nachhaltige Gebäudetypologie darstellen. Der große Vorteil der Betonsilos im Vergleich zu den jüngeren Stahlsilos ist deren Trägheit, Temperatur und Feuchtigkeitsunterschiede werden nur sehr langsam weitergeleitet, das Getreide hat konstante Lagerbedingungen und kann so bis zu einem Jahr gelagert werden, dann wird der Speicherplatz für die nächste Ernte benötigt.

Überraschend ist, dass diese hermetischen, vertikalen Lagerräume eine komplexe grazile Innenarchitektur von Schläuchen und Rohren beherbergen. Diese sind notwendig, um die einzelnen Silozellen zu befüllen und zu entleeren. Das Getreide wird getrocknet, „zieht um“ (Fachjargon der Silomeister wenn das Schüttgut von einer Zelle in eine andere verlagert wird), wird mehrfach gefiltert, gesiebt und schließlich verladen (Bahn oder LKW). Bei diesen Arbeiten kommt es zu erheblichen Staubentwicklungen, da die Konsistenz von Getreide zwischen flüssig und fest angesiedelt ist. Die individuellen Getreidekörner bilden Konglomerate mit Bruchflächen, die durch gegenseitige Reibung Feinstaub erzeugen.

Staub ist als Substanz schwierig zu charakterisieren, weil sein physikalisches Verhalten Gesetzen folgt, die nicht immer mit jenen für Festkörper, Flüssigkeiten oder Gasen vergleichbar sind. Er repräsentiert beinahe einen vierten Aggregatszustand. Aufgrund seines extremen Oberflächen-Volumen-Verhältnisses ist Staub sehr instabil, und kann, wenn er (wie eben Getreidestaub) aus entzündlichen Materialien besteht, im richtigen Mischungsverhältnis mit Sauerstoff in einem abgeschlossenen Raum explodieren. Der Getreideelevator bietet durchaus gute Bedingungen für solche Explosionen, da die Kombination aus Getreidestaub und Funken der mechanischen Teile sich entzünden können. Beispielweise gab es in den Silos am Alberner Hafen so eine Explosion.

Weitere Gefahren sind das Siloschlagen oder das Silobrummen. Jens-Uwe Böhrnsen verfasste seine Doktorarbeit über „Dynamisches Verhalten von Schüttgütern beim Entleeren aus Silos“ „Beim Entleeren von Schüttgütern aus Silos treten dynamische Effekte, auf. Zum einen wird der Silo in seiner Eigenfrequenz zu Schwingungen angeregt und zum anderen schwingen Teile der Struktur, zB die Silowände. Man spricht vom Siloschlagen oder auch vom Silobeben bei Frequenzen im Bereich um 10 Hz und vom Silobrummen bei hörbaren Frequenzen bis etwa 1500 Hz. Diese Effekte können störend sein oder sich bei Anregung von Eigenfrequenzen des Silos oder Teilen der Struktur gefährdend auf die Konstruktion auswirken.“12

Als zeitgemäßes „update“ werden Silos heute auch als Senderstandort bewirtschaftet. Die „Senderfunktion“ der Silos unterstreicht die These, dass Silos als Generatoren eines neuen Siedlungsraumes operieren. Sie sind bereits da; vertikale Lagerräume, die ihr Programm ändern bzw. es zusätzlich zur ursprünglichen Aufgabe ergänzen können. Sendeanlagen ohne Silos stellen oftmals ein gestalterisches Problem dar, und es gibt sehr befremdliche Unternehmungen diese Aufgabe zu lösen, beispielsweise wurden in der Steiermark Plastiktannenbäume entworfen und errichtet, um die Senderanlagen im Wald zu tarnen. In England behalf man sich eines Fake-Silos, der seriell wie ein Fertigteilhaus produziert werden kann, ebenfalls mit dem Ziel den Sender zu verstecken. Die Landmarks, wie sie die Lagerhaus-Silos darstellen, können dieses Gestaltungsproblem lösen. Silos senden Bilder, Gespräche und Informationen, die einen neuen „rurbanen“13 Raum aktivieren.

Entsprechend der Bauordnung fallen diese Türme unter die Kategorie von Hochhäusern. Viele der Silos haben (noch) Verbindung zum Schienennetz und hätten dadurch Potenzial als lokale Terminals zu fungieren, wo von Rad, Bus, PKW auf die Bahn gewechselt werden kann. Die hohe Silodichte in den ehemaligen Grenzregionen Marchfeld und Weinviertel kann zum selbstbewussten Startpunkt für eine neue europäische Kultur- und Siedlungslandschaft werden. Die Unterscheidung in rurale und urbane Siedlungsformen ist nicht mehr zeitgemäß. Der Mythos des Ländlichen ist eine städtische Perspektive, umso mehr erscheint es notwendig, aus der Sicht des Landes auf die Entwicklung der Lebensräume im 21. Jahrhundert zu schauen. Denn die ländlichen Räume haben in den vergangenen 20 Jahren nicht nur einen (infra)strukturellen Wandel erfolgreich abgeschlossen, sondern auch eine eigenständige Entwicklung vollziehen können, die sich auf besondere Weise mit dem Städtischen verknüpft und Merkmale einer zukünftigen Siedlungsweise in Europa beinhaltet. Durch die rasante Fortentwicklung der Transport- und Kommunikationstechnologie ist der ländliche Raum auf eine bisher unbekannte Weise bis in den globalen Maßstab hinein mit dem Städtischen verknüpft.

12 Jens-Uwe Böhrnsen, Dynamisches Verhalten von Schüttgütern beim Entleeren aus Silos, TU Braunschweig, 2001

13 RURBAN: Zusammensetzung von urban und rural. Bezeichnet eine räumliche Qualität, die sich den gewohnten städtischen Deutungsmustern entzieht: 1. stadtländisch, 2. landstädtisch. Vgl. Heidi Pretterhofer, Dieter Spath, Kai Vöckler, LAND. Rurbanismus oder Leben im postruralen Raum, HDA Graz 2010.